Plakat Lager Sandbostel - Gestaltung: Stefan Niemeyer
Ingrid Krause
Ingrid Krause
26.04.2022

Das Gedächtnis im Lager Sandbostel

Nie wieder Krieg? Vergangenheit und Gegenwart!

Das Lager Sandbostel ist eine Gedenkstätte. Sie erinnert unter anderem an die zahlreichen sowjetischen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs, die hier ganz besonders litten und allzu oft ihr Leben ließen. Ich besuchte das Lager am Vortag des Kriegsbeginns in der Ukraine. Ein Zufall, der mich besonders berührt hat. Damals litten die Gefangenen aus den heutigen Staaten Russland und Ukraine Seite an Seite. Nun, 77 Jahre nach der Befreiung, sind sie Gegner in einem Angriffskrieg, der als Blitzkrieg geplant war. Allzu vieles wiederholt sich in der Geschichte ...


Inhalt:
Andreas Ehresmann, Leiter der Gedenkstätte Lager Sandbostel

Andreas Ehresmann, Leiter der Gedenkstätte

Tagein und tagaus, über viele Jahre schon setzt sich Andreas mit der Geschichte und den Greueln des Zweiten Weltkriegs auseinander. Ich finde das großartig, könnte es selbst aber nicht. Nach seiner Arbeit in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme hatte Andreas vor 15 Jahren die Chance, diese Gedenkstätte aufzubauen. Bis heute ist er als Leiter dabei. Sein Wissen kannst du auch in seinem - gemeinsam mit Dr. Jens Binner, Dörthe Engels und Dr. Andrea Genest verfassten - 400 Seiten starken Ausstellungs-Katalog "Das Stalag X B Sandbostel - Geschichte und Nachgeschichte eines Kriegsgefangenenlagers" nachlesen. So ist er fast schon als "das Gedächtnis" zu titulieren, wenngleich damit natürlich das Archiv gemeint ist. Zusammen mit seinem ganz besonders sympathischen Team, das ich kennenlernen durfte, wird dort wichtige Arbeit geleistet. Und dabei auf den erhobenen Zeigefinder verzichtet.

Ob die Arbeit die Welt ändert? Sicher nicht. Aber wenn nur einige ins Nachdenken kommen, verstehen, ihre Haltung ändern, dann ist schon viel erreicht.

Nun stellt sich Andreas aber erst einmal selbst vor:

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Youtube-Film Das Gedächtnis im Lager Sandbostel

Geschichte im Überblick - vom Kriegsgefangenenlager zum Gewerbegebiet

Russische Kriegsgefangene, Foto: Gedenkstätte Lager Sandbostel

1939 wurde das Stalag X B Sandbostel als Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager eingerichtet. Ende September brachte die Wehrmacht die ersten 3.000 polnischen Kriegsgefangenen dorthin. Ab 1941 folgten die ersten russischen Kriegsgefangenen. Ich korrigiere mich: Die ersten sowjetischen Kriegsgefangenen, zu denen Russen als auch Ukrainer gehörten. Erst ab dem 12. April 1945 wurden etwa 9.500 KZ-Häftlinge aus Neuengamme von der SS nach Sandbostel gebracht. Am 29. April wurde das Lager durch die britische Armee befreit.

313.000 Menschen - das ist nur die aus den Aufzeichnungen nachweisbare Zahl - waren im Laufe der Zeit im Lager. Die Kriegsgefangenen, Zivil- und Militärinternierten sowie KZ-Häftlinge kamen aus über 50 Staaten. Nachweisbar ist die Zahl von gut 5.150 Toten Gefangenen (davon 4.690 sowjetisch) und rund 3.000 KZ-Häftlingen. Es ist davon auszugehen, dass die Zahlen deutlich höher waren.

Nach der Befreiung 1945 durch die Briten wurde das Lager als Internierungslager genutzt, danach als Gefängnis, DDR-Flüchtlingslager, Bundeswehrdepot und Gewerbegebiet "Immenhain". Im Jahr 2005 wurde das Gelände von der Stiftung Lager Sandbostel erworben. Etwa ein Siebtel des ehemaligen Lagergeländes bildet die heutige Gedenkstätte, die Dauerausstellung wurde 2013 eröffnet.

Die Nutzungen aus den verschiedenen Zeiten haben in allen Bereichen Spuren hinterlassen, so dass sich kein Abbild des ursprünglichen Kriegsgefangenenlagers ergibt. Für mich sind diese Spuren verwirrend. Wenn du alles ganz genau wissen möchtest, dann empfehle ich dir unbedingt die Teilnahme an einer Führung.

Die Gedenkstätte – ein Baracken-Rundgang

Auf dem Gelände gibt es einige Baracken oder Ruinen, die an Lost Places erinnern. Lost Places für Anfänger sozusagen, denn hier ist es erlaubt, alles zu betreten was offene Türen hat. Und auch hier gilt der Ehrenkodex: "Nimm nichts mit außer Eindrücke, Erinnerungen und deine Bilder. Hinterlasse nichts außer Fußspuren“.

Ausstellungsgebäude der Gedenkstätte - die gelbe Baracke

Die gelbe Baracke - Ausstellung über das Stalag X B

In der Ausstellung im Haupthaus kannst du dich einstimmen auf das, was du anschließend auf dem Gelände und in einigen Gebäuden siehst. Ein Modell des Lagers, umfangreiche Informationen rund um das Lager und die Gefangenen der verschiedenen Nationalitäten und vieles mehr findest du hier anschaulich präsentiert. Wenn du magst, kannst du auch die Bibliothek nutzen.

Berührend ist die Geschichte eines Henkelmanns: Anhand der Einritzungen wurde ein Gefangener namens Mario Sorgente erkannt und in Italien ausfindig gemacht. Man brachte ihm symbolisch seinen Henkelmann zurück, den er daraufhin offiziell der Gedenkstätte vermachte. Die Henkelmänner waren überlebenswichtig für die Gefangenen, die darin ihre mangelhaften Nahrungsmittelrationen bekamen. Oft wurden sie mit Zeichen versehen und so "individualisiert". Einige davon kannst du in der Ausstellung selbst in die Hand nehmen.

Verzierte Henkelmänner zum Anfassen
Ausstellung zum Kriegsgefangenenlager in der gelben Baracke
Alte beschriebene Holztür im Ausstellungsbereich
Andreas Ehresmann erklärt das Modell der Gedenkstätte
Verfallene Baracke in der Gedenkstätte Lager Sandbostel

Die Holzbaracken - Massenunterkünfte in Fertigbauweise

Was wohl das am meisten fotografierte Motiv ist? Klar, die kaputte Holzbaracke. Die hat so einen morbiden Charme.

Die Holzbarackenreihe ist bemerkenswert, denn die parallel gereihten Baracken aus der Erweiterungsphase 1940/1941 gelten als größter zusammenhängender Bestand in Deutschland.

Jede Baracke dieser Bauart war eigentlich für 120 Wehrmachtssoldaten (in jedem Raum 12) an der Front vorgesehen, nach der Genfer Konvention hätten daher auch nur 120 Kriegsgefangene in einer Baracke untergebracht werden dürfen. Die Behandlung sollte der von einer Gewahrsamsarmee entsprechen. Teilweise führte die Überbelegung aber zur dreifachen Zahl, also zu 30-40 Männern in einem Raum. Dominierend war der Gestank, gerade die Uniformen trockneten im Winter nicht. Dazu mangelnde Hygiene, Krankheiten, Durchfall … Hunger und Kälte waren teilweise unerträglich.

Raum mit rekonstruierten Stockbetten in einer Holzbaracke

In der Mitte ist die Schaubaracke während der Öffnungszeiten frei zugänglich. In einem Raum sind beispielhaft Stockbetten aufgebaut. Neben den Betten bestand die Einrichtung aus Spinden und einem Tisch. Räume wurden für alles genutzt: Freizeit, essen, lesen, schlafen …

Konzept ist, die kaputten Teile nicht zu rekonstruieren, die nicht für den Erhalt notwendig sind. Es wird nichts nachgebaut, Neues soll erkennbar sein. Der Verfall wird regelmäßig dokumentiert, besonders von der Baracke, bei der lediglich die Frontfassade stabilisiert wird, um den Eindruck der Reihe zu erhalten. Die Stürme im Februar haben hier alles noch einmal ordentlich in Mitleidenschaft gezogen, sogar Mauern der später beschriebenen Steinbaracken sind dabei umgefallen. Die Baracken wurden in Systembauweise errichtet, alles war nummeriert und vorproduziert. Es wurde am Ort nur noch zusammengesetzt.

Rund 250.000 unbegleitete männliche Jugendliche, die aus der DDR geflüchtet waren, kamen später nach Sandbostel in das Notaufnahmelager. Sie blieben nur 1-2 Wochen. Die Mädchen wurden in Westertimke untergebracht. Aus dieser Zeit stammen noch einige Wappen im Flur und die gelbe Farbe der Baracken. Vorher waren diese grün und rot.

Gegenüber von den Baracken steht das Haus mit den Latrinen und Waschgelegenheiten, das nachts allerdings nicht benutzt werden durfte. Da musste ein Notdurft-Eimer in den Räumen reichen.

Blick zwischen zwei Holzbaracken
Blick in den langen Flur einer Holzbaracke für Kriegsgefangene
Abort in der Schaubaracke des Lagers Sandbostel
Einblick in eine regulär geschlossene Holzbaracke
Gemeinschafts-Waschraum gegenüber der Holzbaracken
Reihe mit einer verfallenen und weiteren erhaltenen Holzbaracken
Nummerierte Platten zeugen von der Systembauweise in den Holzbaracken
Gemeinschafts-Latrine bei den Holzbaracken
Schaubaracke mit den Farbspuren der Zeit
Aufgepasst: Kaputter Holzfußboden in einer Baracke
Waschraum mit Duschwanne in der Schaubaracke
Verfallene Holzbaracke mit Sturmschäden von hinten
Tür zum Tischtennis-Raum
Plan der heutigen Gedenkstätte als Teil des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers

CVJM-Baracke - Ausstellung über die Nachkriegszeit

Diese Baracke wurde für die jugendlichen DDR-Flüchtlinge (das Notaufnahmelager bestand zwischen 1952 und 1960) als Kulturzentrum aufgebaut, dort gab es den ersten Fernseher der Gegend.

Heute befindet sich darin die sehr interessante Ausstellung über die Nachkriegszeit. Die robuste Bauweise in der Ausstellung erklärt sich aus Ermangelung einer Heizung und der freien Zugänglichkeit des Gebäudes. Die Hörstationen werden derzeit überarbeitet, Haupttexte sind auch in englischer Sprache aufgeführt. Auf einem Luftfoto aus dem Jahr 2008 ist schön ersichtlich, welche Gebäude noch erhalten sind.

Dass die Schleifen der Kränze von Russland und der Ukraine hier nebeneinander sichtbar sind, ist ein Wink des Schicksals. Und wirft die Frage auf, welchen Sinn der Krieg hat. Welchen Sinn irgendein Krieg haben kann.

Ausstellungsbereich in der ehemaligen Holzbaracke vom CVJM
CVJM-Baracke mit der Ausstellung zur Nachkriegsgeschichte
Ausstellung zur Nachkriegsgeschichte in der CVJM-Baracke
Andreas Ehresmann erklärt die Nachkriegsgeschichte des Lagers
Andreas Ehresmann untersucht die Farbe vom "A"

Speisesaal und Küche - kein Ort der Kulinarik

Der Speisesaal, also der Anbau der eigentlichen Küche, wurde als solcher in der Zeit des Notaufnahmelagers für Flüchtlinge aus der DDR genutzt; das Gebäude selbst stammt aus der Zeit der Kriegsgefangenen. Die Stürme der Tage zuvor haben ein A gelöst, das Andreas fasziniert hat. Denn erst jetzt konnte er auch überraschende Farbschichten vergangener Zeiten sehen, zum Beispiel einen ungewöhnlichen Rotton.

Der Raum wird derzeit geprägt von einer Installation mit den Personalkarten von 400 verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen. Insgesamt liegen 5.700 solcher Personalkarten vor. Es ist aber davon auszugehen, dass deutlich mehr in den Massengräbern ruhen. Dazu kann aber seriös keine Zahlenangabe gemacht werden. Auch wenn die 400 Karten nur einen Bruchteil der Opfer darstellen, sehen sie eindrucksvoll aus. Viele gaben an, sie wären Bauern, da sie so die Chance sahen, in der Landwirtschaft zur Arbeit eingesetzt zu werden. Dort hofften sie auf eine bessere Versorgung.

Für 10.000 Kriegsgefangene war das Lager anfangs konzipiert, später wurde es offiziell für 30.000 zugelassen. Realistisch waren bis zu 50.000 untergebracht, allerdings oft nur kurze Zeit, denn viele waren in einem der 1.100 Arbeitskommandos, die es nachvollziehbar gab, eingeteilt. Sie lebten oft außerhalb des Lagers in den Dörfern. Da die Männer an der Front waren, mussten die Kriegsgefangenen gerade auf dem Land helfen, und oft auch besonders hart im Moor. Insofern waren die Gefangenen in der Gegend durchaus präsent und bekannt. Aus diesem Grund gibt es heute viele jugendliche Besucherinnen  und Besucher aus der Gegend, die in den eigenen Familien nach den alten Zeiten fragen, und oft sogar relevantes Material wie Fotos aus den Alben der Oma dazu mitbringen. Sie arbeiten im persönlichen Umfeld die Geschichte auf.

Im Lager war die Versorgung katastrophal. Die Suppe war oft mehr warmes Wasser, das wärmte, aber nicht sättigte. Viele Lebensmittel waren verdorben, gerade die geringen Fleischrationen. Die Küche hinter dem Speisesaal ist deutlich älter, an jedem Schornstein waren mehrere Züge. Die Kessel wurden von vertrauenswürdigen Häftlingen, nach Nationen getrennt, zu ihren Baracken gebracht und dort penibel genau verteilt.

Großküche mit mehreren Schornsteinen in der Gedenkstätte
Verzierter Holzlöffel und Metallteller in der Lagerküche
Lagerkirche hinter dem Speisesaal
Karten verstorbener sowjetischer Kriegsgefangener im Lager Sandbostel
Besonderer Lichteinfall durch die Fenster der Küche
Der spätere Speisesaal als Teil des Küchenkomplexes
Ziehen Sie endlich die Schuhe aus, Sie Flegel - Sonst kommt Elsa mit dem Schlägel
Alte Elektrik vor dem Kühlraum der Küche
Blick aus dem Speisesaal auf die Lagerkirche
Kühlraum zur Aufbewahrung von Fleisch hinter der Küche
Weiß getünchte Steinbaracken-Ruine

Steinbaracken - älteste Unterkunft und neueste Militaria

Die noch weitgehend intakte Baracke aus Stein ist die älteste, sie kommt aus der Aufbauphase 1939/1940. Auch die Baracken daneben, diese sind aber weitgehend zerstört. Die Gebäude wurden in der Nachkriegszeit unter anderem für Gewerbe genutzt, wie an den moderneren Aborten zu erkennen ist.

Bevor die ersten Steinbaracken teilweise von den Gefangenen selbst erbaut waren, wurden diese in Großzelten untergebracht. Die Bedingungen waren unmenschlich, gerade im eiskalten Winter.

Militaria-Helme liegen im Bereich der Steinbaracken-Ruinen auf dem Boden
Älteste Baracke auf dem Gelände der Gedenkstätte
Nachkriegs-Urinale an der Ruinen-Wand
Verfallene Steinbaracken auf dem Gedenkstätten-Gelände
Neues Leben auf alten Mauern
Tür ins Nichts
Der Krokus - Farbtupfer und Frühlingsbote
Morbider Charme alter Elektrik in der Baracken-Ruine
Ausstellung in der Kirche auf dem Gedenkstätten-Gelände

Abortbaracke und Kirche - Gebäude im Zentrum

Die katholische Kirche stammt aus der Nachkriegszeit, bei meinem Besuch fand dort eine Fotoausstellung statt. Rechts daneben befand sich früher eine Latrine. Woher wohl der Elefant an der Wand kommt? Den findest du auf einem der Bilder im folgenden Slider. Ansonsten waren in den Gebäudeteilen neben der Kirche zeitweise Werkstätten eingerichtet.

Außerhalb des Geländes befindet sich die evangelische Lagerkirche, die auch heute noch von einer Gemeinde genutzt wird.

Das ehemalige Kino nebenan wird derzeit zu einem neuen Veranstaltungsraum umgebaut.

Werkstatt, Kirche und Abortbaracke in der Gedenkstätte
Lichteinfall durch die vergitterten Fenster der ehemaligen Lager-Latrine
Schuhe am Eingang zur Abort-Baracke
Kunstwerk am Eingang der Latrine
Fenster und Elefant
Vom Sturm umgekippter Baum an den Gräbern von unbekannten ausländischen Soldaten

Lagerfriedhof Sandbostel

Der Friedhof befindet sich ein Stück entfernt von der Gedenkstätte im Ort Sandbostel. Die Sturmschäden waren gewaltig, aber durch sehr großes Glück waren keine Gräber beschädigt. Irgendwie passte das Bild zu den heutigen stürmischen Zeiten.

Mich haben die Kreuze mit den Aufschriften „Unbekannter Soldat“ besonders berührt. Nicht einmal der Name bleibt.

Der Lagerfriedhof ähnelt einem Park
Namensziegel für verstorbene sowjetische Kriegsgefangene
Darstellung eines doppelten Kreuzes auf einem Grabstein

Genfer Konventionen – kein Recht für alle

Das Kriegsvölkerrecht von 1929, besser bekannt als Genfer Konventionen, umfasst zwei Bereiche: Das „Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde“ und das „Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen“. Die besagt in etwa, dass alle Kriegsgefangenen so behandelt werden müssen wie die eigenen Soldaten an der Front. Das Deutsche Reich trat diesen Abkommen 1934 bei.

Der Text des Artikels 3 (engl. common article 3), der sich mit identischem Wortlaut in allen Fassungen der Konventionen findet, lautet:

1. Personen, die nicht direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen, einschließlich der Mitglieder der bewaffneten Streitkräfte, welche die Waffen gestreckt haben, und der Personen, die infolge Krankheit, Verwundung, Gefangennahme oder irgendeiner anderen Ursache außer Kampf gesetzt wurden, sollen unter allen Umständen mit Menschlichkeit behandelt werden, ohne jede Benachteiligung aus Gründen der Rasse, der Farbe, der Religion oder des Glaubens, des Geschlechts, der Geburt oder des Vermögens oder aus irgendeinem ähnlichen Grunde. Zu diesem Zwecke sind und bleiben in Bezug auf die oben erwähnten Personen jederzeit und jedenorts verboten:
a. Angriffe auf Leib und Leben, namentlich Mord jeglicher Art, Verstümmelung, grausame Behandlung und Folterung;
b. Gefangennahme von Geiseln;
c. Beeinträchtigung der persönlichen Würde, namentlich erniedrigende und entwürdigende Behandlung;
d. Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil eines ordnungsmäßig bestellten Gerichtes, das die von den zivilisierten Völkern als unerlässlich anerkannten Rechtsgarantien bietet.

(Quelle: Wikipedia)

Diese Konventionen wurden im Umgang mit Kriegsgefangenen vieler Nationen weitgehend eingehalten. Es gab für einige sogar Unterhaltung wie Theater. Aber auch, wenn Nahrung und Unterkünfte für alle sehr schlecht waren, gab es hier noch große Unterschiede. Im Falle der sowjetischen Gefangenen wurden die Konventionen nicht angewandt, ihnen wurde keinerlei völkerrechtlicher Schutz gewährt. Ideologisch gesehen galt der Bolschewismus als Todfeind des Nationalsozialismus. Als Grund wurde aber vorgegeben, dass die Sowjetrepublik die Abkommen nicht unterzeichnet habe. Die Gefangenen standen in der Hierarchie ganz unten und hatten mit Abstand die höchste Mortalitätsrate.

Auch heute werden die Genfer Konventionen von Angehörigen der unterschiedlichsten Staaten, eben von Menschen, nicht eingehalten. Das mag mit Macht zu tun haben oder mit ursprünglichen Opfern, die später umso mehr zu Tätern werden. Mit Gehorsam oder dem Gefühl, meine Vergehen werden nicht geahndet. Wer ist Opfer, wer Täter, und was macht Menschen dazu? Wann setzt der sogenannte Blutrausch ein? Diese Fragen wären bei Philosophen besser aufgehoben. Und sie stellen sich aktuell beispielsweise im Angriffskrieg von Putin gegen die Ukraine.  

Wahr oder falsch? - Filmsets und Militaria

Schriftzug "Hoffnung" als Überbleibsel einer Filmkulisse

Auf dem Gelände hätte ich fast ein paar Sachverhalte falsch gedeutet. Diese, Donald Trump würde sie Fake-News nennen, sind natürlich nicht geplant inszeniert. Sie sind Folge der langen unterschiedlichen Nutzungen, die hier lediglich gesichert und bewahrt werden. Eine Rekonstruktion des Lagers aus einer bestimmten Zeit erfolgt bewusst nicht.

Der Schriftzug auf der einen Holzbaracke hieß einmal „Hoffnung“. Die Worte „Glaube, Liebe, Hoffnung“ standen aber nie auf den Baracken des Kriegsgefangenenlagers, sondern wurden für einen Filmdreh angebracht. Sie sehen ganz ähnlich aus wie die älteren Buchstaben vom „Speisesaal“, die oben schon benannt wurden, aber original sind.

Übrigens gibt es noch einen Raum, der für den genannten Film gestaltet wurde, und in dem die Einkleidung stattfand: Das Ende vom Anfang.  Auch ein Film nach dem Werk von Johannes Mario Simmel wurde hier gedreht, unter anderem mit Hannelore Elsner: Der Stoff, aus dem die Träume sind

Auch die Helme und Ledersandalen sind überraschend. Diese stammen aus Zeiten des Gewerbegebiets, als hier ein Militaria-Händler sein Lager hatte. Mit den Kriegsgefangenen hat dies nichts zu tun.

Na ja, und auch die bellenden und zuweilen heulenden Hunde im Hintergrund scheinen, einen Wachauftrag zu haben. Sie leben aber einfach gegenüber auf dem Tiergnadenhof Rasselbande.

Es ist also immer ratsam gut zu hinterfragen, was man sieht oder hört. Im Lager Sandbostel sind diese Informationen besonders gut im Rahmen von Führungen einzuordnen.

Militaria-Helme liegen im Bereich der Steinbaracken-Ruinen auf dem Boden
Reste einer Filmkulisse in einer geschlossenen Baracke
Sandale als Überbleibsel eines Militaria-Händlers

Die Gedenkstätte erleben

Im Lager Sandbostel ist das Thema Tod allgegenwärtig, meine Gedanken kreisten aber vielmehr um das Thema Leben. Das unterscheidet diese Gedenkstätte beispielsweise vom KZ Dachau, nach dessen Besuch ich mit 14 Jahren noch viel deutlicher erschüttert war. Das war brutal, in Sandbostel ist die Atmosphäre weniger dramatisch. Ich denke, vielen Besucherinnen und Besuchern wird es leichter fallen, sich hier mit der Geschichte auseinander zu setzen.

So merkwürdig es klingt, ich konnte tatsächlich auftanken, Mut und Kraft schöpfen. Und spürte große Dankbarkeit, dass ich das Privileg habe bislang in Frieden und ohne Vertreibung gelebt zu haben. Eine Selbstverständlichkeit ist das, wie überall auf der Welt zu sehen ist, nicht. Und die Geschichte ist nicht lange her: Auch mein Vater ist noch ein Kind der Flucht, und die Geschichten meiner Großmutter sind mir noch gut im Gedächtnis.

Bewusst soll die Barriere, diesen Ort und seine Geschichte zu erleben, klein gehalten werden. Das Gelände ist zu Fuß immer zugänglich, die Einfahrt zum Parkplatz sowie die Türen zu den Schaugebäuden sind während der Öffnungszeiten geöffnet. Eine Führung ist wirklich zu empfehlen, um das Sichtbare richtig verstehen und einordnen zu können.

Andreas Ehresmann in der Großküche der Gedenkstätte

5 Fragen an ...

  1. Kommst du gebürtig aus dem Landkreis Rotenburg (Wümme)?
    Nein, ich bin in Kiel geboren und lebe in Hamburg.
  2. Was ist dein persönlicher Lieblingsort im Landkreis?
    Ich schätze sehr ein Holsteiner Schnitzel im Grünen Jäger in Sandbostel.
  3. Was schätzt du an den Menschen in der Region besonders?
    Die Menschen sind oft zu Beginn eher zurückhaltend, wenn man aber einen Zugang gefunden hat, sind sie sehr offen und hilfsbereit. Das kommt mir sehr entgegen, da ich als gebürtiger Schleswig-Holsteiner genau so ticke.
  4. Was macht die Region lebens- und liebenswert?
    Die Natur und die schönen Dörfer.
  5. Bist du eher Team Aktiv, Natur, Kultur oder Auszeit?
    Ich bin Team Aktiv und Kultur.

Gedenkstätte Lager Sandbostel

Greftstraße 3
27446 Sandbostel
Tel: 04764 2254810
E-Mail: info@stiftung-lager-sandbostel.de

Der Eintritt ist frei, ebenso wie die öffentlichen Führungen am 2. und 4. Sonntag im Monat. Um Spenden wird gebeten. Individuelle Führungen kosten ab 40,00 €.

Es wird empfohlen, die Ausstellungen nicht mit Kindern unter 12 Jahren zu besuchen.

Öffnungszeiten, Veranstaltungen und alle weiteren Infos

Es gibt sogar eine GeoCaching-Tour.

Hier findest du Infos zur Barrierefreiheit.

Ausgewählte Highlights rund um die Gedenkstätte