Das Geheimnis des Blaudruck
Hexerei oder Handwerk?
Vor Kurzem durfte ich Mäuschen spielen und mir die Blaudruckerei auf dem Meyerhof in Scheeßel anschauen. Ich war sofort fasziniert von der Kunstfertigkeit, die in Modeln und bedruckten Stoffen zum Ausdruck kam. Von der Ruhe, die der Ort ausstrahlte. Mein Wunsch war geboren: Ich wollte mehr über das Geheimnis des Blaudrucks erfahren. Wie bekommt man das weiße filigrane Muster in den blauen Stoff? Gibt es Parallelen zwischen Blaudruck und Bierbrauerei? Und warum sieht der Stoff erst gelb und dann blau aus - ist das Hexerei oder reine Chemie? Ich hatte so viele Fragen.
Meine Blaudruck-Profis
Anne Rathjen und Ilse Riebesell, zwei Blaudruckerinnen der ersten Stunde, beantworteten mir geduldig alle Fragen. Als vor rund 40 Jahren die Blaudruckwerkstatt im Museum eröffnet wurde, waren sie schon dabei. Und sie sind es bis heute, mit sechs weiteren Damen, alle ehrenamtlich. Ob sie mich aber wirklich in die Geheimnisse einweihen? Von Papp und Stammküpe?
Die Blaudruck-Werkstatt: Faszinierende Welt im Hexenhäuschen
Ich versuchte es zuerst im Hexenhaus. So nenne ich die Blaudruckerei, dieses schnuckelige kleine Häuschen auf dem Gelände des Meyerhofs in Scheeßel. Ilse werkelte in der Werkstatt gerade an einer Tischdecke, die sie für sich selbst gestaltet. Hm, ich überlegte: Widmet sich Ilse jetzt der Hexerei oder dem Handwerk? Ich erkannte, dass Blaudruck richtig harte Arbeit ist. Ein Handwerk bei dem mit allerlei geheimen Zutaten hantiert wird. Schwefelsäure und Grünspan, Alaun und Blaustein, Kalk und Eisenvitrol ... Das hört sich nach Alchemie an, aber bei Ilse sah es nicht aus wie in den Filmen bei den Alchemisten. Das Geheimnis um die genauen Zutaten für Papp, Indigoküpe und mehr ist ein Berufsgeheimnis, wie es das in fast jedem Handwerk gibt. Und der Hinweis auf die Hexerei kommt so: Ob man das eher schwach färbende Färberwaid nimmt, das schon im Mittelalter in Europa genutzt wurde, oder das deutlich stärker färbende Indigo aus Indien - das Prinzip ist identisch. Der Farbstoff in Pulverform (die Farbbrocken pingelt man im Pingelpott zu Pulver) ist erst einmal blau-violett. Dieser wird mit weiteren Stoffen angerührt und in die Küpe gegeben. Dort befindet sich das Indigoweiß, das eigentlich eher gelblich-grün aussieht. Durch Oxidation an der Luft färben sich der Stoff und die Oberfläche der Flüssigkeit in der Küpe wieder blau.
Das mutet nach Magie und Hexerei an, ein Wunder - ist aber reine Chemie. „Wer blaudrucken kann, kann auch hexen!“ - dieser Spruch gehört tatsächlich ins Mittelalter. Auch der Spruch "sein blaues Wunder erleben" kommt daher.
Ich möchte aber weiter an Magie glauben, denn die Werkstatt hat eine ganz spezielle Ausstrahlung die zu wundersamen Dingen passt. Ilse ist hingegen alles andere als wundersam, eine sehr freundliche Frau, mit allerlei wissenswerten Geschichten und Infos im Gepäck. Sie ist mit Leidenschaft tätig in dieser Werkstatt, deren Inventar vom letzten Scheeßeler Blaudrucker, Heinrich Müller, stammt.
Ruhe brauchst du, wenn du die Model präzise mit den Ansatzstiften auf dem Stoff platzierst. Es gibt keinen zweiten Versuch, einmal aufgebrachter Papp bleibt an Ort und Stelle. Und das wirkliche Ergebnis siehst du erst Wochen später, eine echte Geduldsprobe. Das ist der Grund, warum du Blaudruck nicht "mal eben so" in einem Workshop lernen kannst. Die acht Blaudruckerinnen, die hier ehrenamtlich arbeiten, bewahren das kulturelle Erbe in diesem "lebendigen Museum zum Anfassen", und fertigen unter anderem die traditionellen Stoffe für die Schürzen der Scheeßeler Tracht.
Blaudruck meets Bier
Und wie ist das nun mit der Parallele zwischen Blaudruck und Bierbrauerei, die wahrscheinlich niemanden interessiert außer mich selbst? Na ja, in beiden Fällen spielt Fermentation eine wichtige Rolle, denn dieser Prozess ist nicht nur beim Brauen, sondern auch bei der Farbherstellung relevant. Im Herstellungsprozess der Farbe nutzte man früher Urin, mit ihm wurden die Pflanzenteile vergoren. Also, Pipi war die Grundlage für hübsche Stoffe. Und um genug davon zu haben, und weil auch der Alkohol einen Effekt hatte (Achtung, Viertel- oder Halbwissen!), tranken die Färber am Vortag ordentlich über den Durst. Später, wenn die gefärbten Stoffe an der Luft trocknen mussten und die Jungs nichts zu tun hatten - lasst nun einfach eure Phantasie spielen. Oft ist zu lesen, dass der Begriff "Blaumachen" daher kommt. Anne kann dir aber ganz genau erklären, was es mit "Blaumachen" bzw. dem "Blauen Montag" wirklich auf sich hatte. Die Geschichte würde hier zu weit gehen. Vielleicht passte es ganz gut, dass gerade die Bierstadt Einbeck auch für den Blaudruck bekannt war, wo eine heute noch existierende Blaudruckerei seit 1638 ansässig ist. Ach so, und noch etwas verbindet beides: die nötige Geduld. In beiden Fällen braucht die Produktion gut 4 Wochen, mal ganz grob gesagt. Einen Spruch habe ich noch: "grün und blau schlagen". Ob die Färber das nur mit dem Stoff machten?
Hast du die Folge bei Inspector Barnaby gesehen, in der ein Toter im Ale-Fass liegt? Die Küpe beim Blaudruck ist 2-3 Meter tief, das wäre doch auch mal was für einen Krimi - mein Kopfkino ist schon in vollem Gange ...
Das ist jetzt aber auch wirklich unnützes Wissen. Um zum Kern zurückzukommen: Ilse hat mich nicht in alle Geheimnisse eingeweiht, sie hat dicht gehalten. Mein Plan, zu Hause einen Blaudruck herzustellen mit allem Drum und Dran, mit Magie in der eigenen Hexenküche, kann ich so noch nicht umsetzen. Vielleicht habe ich ja bei Anne mehr Glück, die eigentlich den schönen Namen Annerose trägt, und mich in der Ausstellung erwartet.
Blaudruck - immaterielles Kulturerbe der Menschheit
Bevor ich aber in die Ausstellung gehe, möchte ich dir die wahre Bedeutung des Blaudrucks vergegenwärtigen: Er gehört zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit. Die UNESCO hat das Handwerk damit geadelt, und das ist richtig so, wie ich finde. Und die Scheeßeler? Sie waren ganz vorne dabei, den Blaudruck als Welterbe anerkennen zu lassen. Da können wir in der Region mächtig stolz drauf sein.
Seit 2016 ist der Blaudruck als immaterielles Kulturerbe deutschlandweit anerkannt, seit 2018 - als Gemeinschaftsprojekt von Deutschland, Österreich, Tschechischer Republik, Slowakei und Ungarn - auch in der "Representative List of the Intangible Cultural Heritage of Humanity".
Wissens-Snacks in der Blaudruck-Ausstellung
Blaudruck - der Film
Bei der Blaudruck Ausstellung im Meyerhof in Scheeßel geht man auf eine kleine Zeitreise und lernt viel über die alte Textiltechnik, die dort bis heute praktiziert wird. Super spannend und sehr gut aufbereitet. Wir kommen wieder.
Das Team der Blaudruckerinnen
Derzeit werkeln acht Blaudruckerinnen einmal monatlich in der Werkstatt. Nach dem Frühstück kümmert sich ein Teil oben um neue Objekte, während unten der andere Teil an der Küpe färbt. Das mal so ganz grob. Alle vier Wochen macht Sinn, denn so lange muss der Papp trocknen. Den ganzen Tag machen sich die Damen bei der Arbeit durchaus auch schmutzig. Verkauft werden die Objekte nicht. Gefärbt wird unter anderem für die Trachtengruppen des Ortes.
Über neue Mitgliederinnen oder Mitglieder, die im besten Fall die Tradition mit Leben füllen und an die nächste Generation weitergeben, würden sich die Damen sehr freuen.
Zwei von ihnen haben mir das Thema Blaudruck gezeigt, wofür ich mich sehr bei Anne und Ilse bedanke.
5 Fragen an Annerose Rathjen
- Kommst du gebürtig aus dem Landkreis Rotenburg (Wümme)?
Ja – ich habe das Licht der Welt im Rotenburger Krankenhaus erblickt.
Meinen Wohnsitz hatte ich immer in der Gemeinde Scheeßel, trotz verschiedener beruflicher Tätigkeiten z. B. in Hamburg oder in Verden, mit vielen Reiseaktivitäten im In- und Ausland. - Was ist dein persönlicher Lieblingsort im Landkreis?
Die Vareler Heide, diese ist nur ca. 10 min Fußweg von unserem Haus entfernt und wir sind oft zu einem Spaziergang dort. Die Vareler Heide ist zu jeder Jahreszeit wunderschön mit der hügeligen Dünenlandschaft, Heide und Wacholder. Dazu gibt es schöne Wege durch den Wald mit Blick auf die Wümmeniederung/-Wiesen. Mein Herzenswunsch wäre der Wiederaufbau der Holzbrücke über die Wümme zwischen Varel und Griemshoop. - Was schätzt du an den Menschen in der Region besonders?
Einerseits die Offenheit und Geselligkeit – aber auch die Verlässlichkeit. Wir hatten zum 1. Mai 2020 geplant, einen besonderen Handwerker (Formstecher für Druckmodel) aus Dänemark einzuladen. Bei den Vorbereitungen haben mehrere Personen aus unserem Blaudruckerteam sofort ein Privatquartier für dieses Ehepaar angeboten – obwohl nie persönlich vorher getroffen. Auch die Pläne für gemeinsame Unternehmungen – Grillen zu Hause etc. wurden spontan angesprochen – jeder wollte gerne ein Treffen und selbstverständlich etwas dazu beitragen. - Was macht die Region lebens- und liebenswert?
Lokale Kulturangebote vom Heimatverein, KIS oder auch Sparkassenstiftung oder andere. Breites kulinarisches Qualitätsband von guter deutscher Küche über Rodizio bis hin zum Rauchfang Oldenhöfen (Anm. d. Red.: Der Rauchfang ist inzwischen geschlossen). „Schöne Ecken“ im Landkreis: Tister Bauernmoor, Bullensee etc. Gute Lage: Sehr gute Verkehrsanbindung Hamburg und Bremen, Nähe zu Nord- und Ostsee. - Bist du eher Team Aktiv, Natur, Kultur oder Auszeit?
Im Team bin ich beim Blaudruck tätig. Hier treffen wir uns – zu normalen Zeiten (ohne Corona) – regelmäßig mit bis zu 7-8 Personen, um dieses Handwerk auszuüben. Privat sind wir zu zweit viel in der Natur unterwegs – z.B. Radtouren in unserer Umgebung, Wandern in der Lüneburger Heide oder auch Spaziergänge an der Elbe im Alten Land. Derzeitig vermissen wir insbesondere auch Kino- und Theaterabende (Buchholz oder Hamburg).
5 Fragen an Ilse Riebesell
- Kommst du gebürtig aus dem Landkreis Rotenburg (Wümme)?
Ich bin hier in Scheeßel 1955 geboren und bin 1969 über die Tanz- und Trachtengruppe „De Beekscheepers“ auf den Heimatverein aufmerksam geworden. Als 1975 vom Heimatverein die Blaudruckwerkstatt eingeweiht wurde, war ich von der ersten Stunde dabei und habe eine „Lehre“ beim letzten Blaudrucker Alfons Friese gemacht. - Was ist dein persönlicher Lieblingsort im Landkreis?
Mein persönlicher Lieblingsort ist der Meyerhof und das Heimathausgelände in Scheeßel. Wunderschön ist auch der Blick auf die Beeke-Brücke hinter dem Meyerhof, wenn die untergehende Sonne durch die Bäume scheint und sich in der Beeke spiegelt. - Was schätzt du an den Menschen in der Region besonders?
Ich glaube, hier in Scheeßel sind die Menschen besonders aufgeschlossen gegenüber fremden Nationen und Hautfarben. Das hat sicherlich damit zu tun, dass wir zu unseren Trachtenfesten und zum Hurricane Menschen aus der ganzen Welt empfangen und diese auch die positiven Eindrücke aus Scheeßel wieder in die ganze Welt mitnehmen. - Was macht die Region lebens- und liebenswert?
Der ländliche Raum zwischen Weser und Elbe, die schönen Landschaften – Moore, Seen und Wälder (auch die Ebene hat ihre Reize), die Vielfältigkeit macht es, die Nähe zur Küste, zu den Metropolen Hamburg, Bremen und Hannover, gute Bahnanbindungen … - Bist du eher Team Aktiv, Natur, Kultur oder Auszeit?
Ich bin gern im Team aktiv – im Blaudruckerteam (8 Personen) mache gerne Spaziergänge in der Natur, bin aber auch bei Kulturveranstaltungen, wie dem Beeke-Festival, 1. Mai, Kunsthandwerkermarkt und Kinderferienprogramm des Heimatvereins, aktiv arbeitend dabei. Auch Sport wie Schwimmen, Yoga und Line-Dance mache ich gern.
Heimatmuseum Scheeßel
Am Meyerhof 1
27383 Scheeßel
Tel:
04263 6757888
E-Mail:
info@heimatmuseum-scheessel.de
Die Blaudruckerei befindet sich als Teil des Meyerhofs im Heimatmuseum Scheeßel. Der Eintritt ist frei.
Öffnungszeiten und mehr - alle Infos zum Heimatmuseum Scheeßel
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