Ingrid Krause
Ingrid Krause
29.12.2022

Spielerei in den Dünen

Die Voßberge bei Everinghausen im Winter

Na, Lust auf Strand? Den haben wir hier nicht, aber dafür ganz viel Sand, in der wohl größten Sandkiste der Region. Die Dünenlandschaft der Voßberge ist so wunderbar, dass sie unter Naturschutz steht. Im letzten Dezember war ich dort, um ein wenig zu spielen. Nicht direkt im Sand, aber mit den kleinen Modellbau-Figuren. Das war eine Gaudi, um im Jargon des Bergsteigers zu bleiben, der den Baumstamm mutig bezwungen hat.


Inhalt:
Sonne hinter kahlem Baum

Klirrend kalter Dünensand

Der Himmel sieht sommerlich aus, aber es war Winter. Auch, wenn man es der Figur nicht ansieht, die sich da gerade scheinbar sonnt. Nicht gesehen? Dann scrolle einmal zurück zum Titelbild.

Die Voßberge sind Teil des Naturschutzgebietes „Wümmeniederung mit Rodau, Wiedau und Trochelbach“. Aber was hat es mit dieser besonderen Landschaft auf sich? Ich verkürze mal radikal in Worten einer Laiin:

Es handelt sich um die letzten größeren offenen Binnendünen bzw. Wanderdünen der Wümmeniederung. Über viele Jahrhunderte prägten Heide, Moore und unbewaldete Binnendünen die Landschaft. Letztere bestehen vor allem aus offenem feinen Sand, Heide und Magerrasen. Die Dünen wurden meistens vor Jahrtausenden aus Flussterrassen ausgeweht. Es sind also meist sandige Flächen an Flüssen, weshalb hier oft Siedlungen angelegt wurden. Als es wärmer wurde, wurden Teile der Binnendünen von einer Vegetationsdecke überzogen. Heidebauern bewirtschafteten die Flächen mit Plaggenhieb und Schafsbeweidung. Dadurch - sowie durch Holzeinschlag - breitete sich die Heidelandschaft in Nordwestdeutschland aus. Durch Überweidung und Viehtritt entstanden wieder vegetationsfreie Sandflächen. So begannen die Dünen erneut zu wandern, neue entwickelten sich. Mit der Umwandlung der Heidelandschaft in Ackerland und Wald sowie durch Überbauung seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Dünen vielerorts zerstört. Die Wanderdünen wanderten nicht mehr.

Wo eine offene Binnendünenlandschaft überdauerte, etablierte sich eine angepasste Flora und Fauna. So kommt der Strandhafer sonst nur auf Küstendünen vor, nach früheren Anpflanzungen hält er sich hier aber an einigen Stellen. Ansonsten gibt es beispielsweise Silbergras, die Krähenbeere, Sandsegge oder verschiedene Flechtenarten. Außerdem komme einige besondere Tierarten wie die Heidelerche oder der Ameisenlöwe vor.

Dünen in den Voßbergen - die Erste
Dünen in den Voßbergen - die Zweite
Dünen in den Voßbergen - die Dritte
Dünen in den Voßbergen - die Vierte
Dünen in den Voßbergen - nun reicht es aber mal!

Ein Spaziergang durch diese schöne Gegend ist wirklich einmalig. Da kommen selbst bei Kälte, wenn am besten die Sonne so schön scheint wie an jenem Tag, Urlaubsgefühle auf. Der Ort lässt dich richtig durchatmen und abschalten. Eine Familie hat ein schönes Picknick gemacht, und natürlich nichts hinterlassen außer ihre Spuren im Sand.

 

Sehr lütter Film

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Rucksack am NORDPFADE-Schild

Wandertour durch weite Landschaft

Auch wenn ich die Landschaft im Landkreis gar nicht immer so weit erlebe wie andere - hier verdient sie die Bezeichnung. Nicht in den Dünen, die sind ja fast schon bergig, aber auf den angrenzenden Weiden, und in der Wümmeniederung an vielen Stellen. Hier lässt es sich wunderbar wandern, auf dem gleichnamigen NORDPFAD. Mit seinen 32 km ist er sehr lang, kann aber auch gut in zwei Etappen aufgeteilt werden. So lässt sich der Umweg in die Voßberge auch gut machen, wenn man nicht gerade Wander-Marathoni ist.

Eine Wanderung durch ein Naturschutzgebiet bedeutet umso mehr, dass penibel alle Hinterlassenschaften wieder mitgenommen und die Wege nicht verlassen werden dürfen. Aber warum sollte man das auch tun, wenn die Wege so schön sind? In der Wümmeniederung warten übrigens noch ein paar Kunstwerke auf deinen Besuch, die Wanderung lohnt sich. So schön der Rest der Wanderung ist - in den Voßbergen finde ich es am allerschönsten. Das fanden meine beiden kleinen Kumpels auch. Sieht fast so aus, als hätten sie orangefarbige NORDPFADE-Rucksäcke auf, oder?

Rinder auf der weiten Weide
Flora in den Dünen
Landschaftlich eindrucksvolles Wandergebiet

Von der Weite in den Wald - so könnte man es sagen. Denn der befindet sich direkt neben der weiten Rinderweide. Durch den Wald geht es Richtung Sottrum zum Bahnhof (es hält aber auch manchmal ein Bus in Everinghausen). Das ist zu Fuß aber eine ganze Ecke. Ich bin dorthin umweltfreundlich geradelt. Natürlich niemals auf den Wanderwegen, da habe ich brav geschoben! Aber ein bisschen spielen musste ich dort auch noch mal.

 

Naturschutz ist cool

Wenn ich etwas lese von Regeln und Verboten, dann habe ich schon keine Lust mehr, mich damit zu beschäftigen. Selbst, wenn diese sinnvoll sind. Ich bevorzuge es, mich in die Lage meines Gegenübers zu versetzen. Das kann ein Tier sein, eine Pflanze, ein Mensch. Wie würde ich an Stelle des Gegenübers denken oder fühlen? Ich habe mal die kleine Ameise Anni gefragt: Wie geht es dir, liebe Anni, in diesem wunderbaren Naturschutzgebiet?

Ich lebe hier sehr gerne. Es gibt nicht mehr viele, die sind wie ich. Wir verstecken uns oft in Pflanzen, die für Menschen unscheinbar wirken, für uns aber ganz groß sind. Auch manche dieser Pflanzen gibt es nicht mehr oft, da sollte nicht draufgetreten werden. Letztens ist ein riesiger Ball fast auf meinen Kopf gefallen, da hatte ich große Angst. Ich finde Kinder toll, wenn sie im Sand spielen, aber nicht neben den Wegen oder offenen Sandflächen. Sie sehen mich doch nicht, da können sie nichts für. Auch kleine Fiffis sind für mich riesige Hunde-Monster. Bitte nehmt sie an die Leine. Und der Müll, der ist echt eklig. Igittigit. Ich hatte gestern gerade mit meinem Liebsten geknutscht, als so ein schnotteriges Taschentuch über uns fiel. Aus war es mit der Romantik. Es wäre riesig, wenn ihr großen Menschen immer daran denkt, dass ihr nicht alles erkennt, was gerne friedlich in dieser schönen Natur lebt.

– Anni Ameise

Licht und Schatten im Wald

Baumbesteigung der anderen Art

Mein kleiner Bergsteiger hat es mir nicht leicht gemacht, in den Voßbergen. Immer wieder fiel er der Erdanziehungskraft zum Opfer. Aber dann begann er doch, ordentlich zu kraxeln, im hohen Norden. Tja, man muss nur klein genug sein, dann ändert sich die Perspektive. Wie bei Anni, der Ameise von eben.

Es war traumhaft, bei diesem Wetter durch den Wald zu spazieren. Wie das Licht durch die Bäume fiel - einfach herrlich. Die Luft, der Duft, alles war Entspannung pur. Ich hatte jedenfalls ein breites Grinsen im Gesicht, weil es einfach so schön war. Und die Kälte? Habe ich nicht mehr wahrgenommen.

Wenn du dich nun wunderst, dass die Geschichte hier schon zu Ende ist: Das ist ja auch eine Lütte Story. Ohne Besuch bei spannenden Menschen und so weiter, einfach so als Erinnerung an ein wunderbares Mikro-Abenteuer. Vielleicht magst du es mir ja nachmachen, gerne auch ohne alberne Figuren, und nachempfinden, wie gut es mir vor Ort ging. Ich empfehle es dir aufs Wärmste!

Ich habe da aber noch einen Tipp: Frau Dr. Christiane Looks hat einmal über die Voßberge - bzw. Vossberge (wie wird es denn nun richtig geschrieben?) - einen sehr interessanten Text verfasst. Herzlichen Dank, dass wir diesen nachfolgend veröffentlichen dürfen.

 

Wer hat den Sand geklaut?

Die Vossberge – das älteste Naturschutzgebiet des Landkreises

46 Jahre lang tobten Bremer Kinder, wenn sie die zwei Schullandheime in Everinghausen bevölkerten, durch den kleinen Ort an der Autobahn und erkundeten Everinghausens Sanddünen, die Vossberge, am Tage und während spannender Nachtwanderungen. Gab es doch Löwen in den Vossbergen: furchterregende, zwei Zentimeter große, im Verborgenen lebende Larven der Ameisenjungfer, sogenannte Ameisenlöwen, die am Grund eines sorgfältig gebauten Sandtrichters auf ihre Opfer warten.

Kommt eine unvorsichtige Ameise oder ein anderes Insekt auf dem abschüssigen Sandrand eines Fangtrichters ins Rutschen, wird es vom Grund aus so lange mit Sandkörnern beworfen, dass ein Abrutschen auf den Grund des Fangtrichters nicht verhindert werden kann und die Larve der Ameisenjungfer zum „Löwen“ wird.

1936 überraschten engagierte Bremer Eltern das kleine Wümmedörfchen Everinghausen mit seiner mühsam erkämpften Zwergschule durch den Bau eines modernen Schullandheimes. Welch ein Kontrast: hier zwei Schülerinnen und eine Lehrerin, dort Raum für 48 Schüler, Lehrer, Begleitung und dicht dabei ein ebenfalls zum Schullandheim umgebautes niedersächsisches Bauernhaus für weitere 42 Schulkinder mit Betreuern und Heimleiter-Ehepaar. Aber den Everinghausern war Ungewöhnliches vertraut. 1934 wandte sich der Stader Regierungspräsident (der Landkreis Rotenburg gehörte damals zum Regierungsbezirk Stade) an den Rotenburger Landrat, weil er befürchtete, dass für den geplanten Autobahnbau Sand aus den Vossbergen abgebaut würde.

Die Vossberge sind eiszeitliche Quarzsanderhebungen, die am Ortsrand von Everinghausen beginnen, 1,6 Kilometer entlang der Wümmeniederung bis in den Bereich der Fährhofer Binnendünen reichen und teilweise über 20 Meter hoch sind. Unbewachsen wären diese Sandberge durch den Wind als Wanderdünen in ständiger Bewegung und würden ihr Hinterland unter sich begraben. Durch natürlichen Bewuchs und gezielte Anpflanzungen konnte dies verhindert werden. Kiefernbestände siedelten sich großflächig an, Besenheide und Krähenbeeren fanden Nischen. Die meisten Binnendünen erinnern deshalb wenig an Dünen, wie sie aus Küstengebieten bekannt sind. Landwirtschaft und Sandabbau taten ein Übriges. Dabei sind viele hoch spezialisierte Tier- und Pflanzenarten gerade auf offene Sandflächen und den darauf entstandenen Trockenrasen angewiesen. Nicht nur Ameisenjungfern, auch Sandlaufkäfer, Solitärbienen und zahlreiche Moose sowie Flechten benötigen genau diese besonderen Bedingungen. Aus diesem Grund verwundert es nicht, dass sie alle höchst selten geworden oder sogar vom Aussterben bedroht sind.

1934 fürchtete der Stader Regierungspräsident in erster Linie den Sandabbau und damit die Zerstörung der einzigartigen Dünenlandschaft. Im September fand eine Ortsbegehung statt und Ende des Jahres war nach Gesprächen mit allen Beteiligten klar, dass dieses wertvolle Flugsanddünengebiet unter Schutz gestellt werden sollte. 1935 wurde im Amtsblatt der Region Stade eine „Verordnung über das Naturschutzgebiet Voßberge bei Everinghausen, Kreis Rotenburg/Hannover“ veröffentlicht und Anfang 1936 standen bereits entsprechende Hinweisschilder. Sie zählten mit zu den ersten in Deutschland und waren auch die ersten im Altkreis Rotenburg. Rechtzeitig vor dem im selben Jahr beginnenden Autobahnbau sollte damit abgesichert werden, dass die neue Schnellstraße ohne den Everinghauser Sand entstand.

Keinerlei Bodenbestandteile durften abgebaut, kein Schutt oder andere, fremde Bodenbestandteile in das Gebiet eingebracht werden. Veränderungen der Bodengestalt einschließlich vorhandener Böschungen hatten ebenfalls zu unterbleiben. Forstliche und jagdliche Nutzung sollten dagegen wie bisher möglich sein und vorhandene Ackerflächen weiter genutzt werden können. Nicht so ganz geklärt hatte man offensichtlich, ob für individuelle Bauzwecke Sand von der nächst Everinghausen gelegenen Düne abgegraben werden durfte. So nach und nach, beklagte eine 1987 veröffentlichte Studie, sei der mittlere Dünenzug mit Calluna-Flächen verschwunden und in Ackerflächen umgewandelt worden, würden Erica-Feuchtweiden mit Sonnentaubeständen als Viehweiden genutzt sowie Extensiv-Weiden in Maisäcker umgewandelt. Ein Nachteil alter Schutzgebietsverordnungen ist nämlich, dass sie zwar den geschützten Bereich flächenmäßig darstellen, aber nirgendwo festgehalten wird, wie er erhalten werden soll.

Alte Verordnungen für Schutzgebiete haben zumeist Reservatcharakter der Art „Bloß nichts verändern und nur Erlaubtes zulassen“. Aber nirgendwo wird dokumentiert, welcher besonderen Art ein Gebiet ist, was dort vorgefunden wird, warum das alles bewahrt werden soll, wie dieses geschehen und wohin sich etwas entwickeln könnte. Das leisten moderne Schutzgebietsausweisungen. Sie zeichnen sich durch das Vorsorgeprinzip aus. So wird hier beschrieben, dass die Vossberge ihren Charakter als Sanddünen natürlich nur bewahren, wenn offene Sandflächen erhalten und nach Möglichkeit vergrößert werden. Selbst ein natürlicher Bewuchs wie Birken oder aufkommende Kiefern passen nicht dazu, zusätzliche Humusschichten ebenfalls nicht. Lediglich die für Flugsanddünen typischen Solitärkiefern mit bizarrem Wuchs sind auf den offenen Flächen erhaltenswert. Davon findet sich in der Verordnung von 1935 aber nichts. Deshalb sollen Stück für Stück alle alten Schutzgebietsverordnungen überarbeitet und den heutigen Anforderungen angepasst werden.

Tipp: Lust auf Sand und „Löwen“ bekommen? Dann einen Ausflug in die Ortsmitte Everinghausens einplanen. Bei der Bushaltestelle mit der Skulptur „Luftdurchlässig“ und dem Gebäude der ehemaligen Minischule der Wanderweg-Ausschilderung „Wümmeniederung-Zuweg“ in die Straße „Große Trift“ folgen. Gegenüber dem Bauernhaus des ehemaligen Schullandheims Eichenhof biegt der Zuweg zum Wanderweg „Wümmeniederung“ rechts ab in das hier bewaldete Dünengebiet. Dem ausgeschilderten Zuweg folgen. Er führt nach kurzer Zeit entlang der durch den Sandabbau entstandenen Freifläche zwischen Ost- und Westdüne direkt zur offenen Sandfläche des westlichen Teils der Vossberge.

– Dr. Christiane Looks aus Ahausen - "Natur-Looks"

Dieser Text findet sich im ersten der bislang drei erschienen Bände der "Natur-Looks". Die Bücher sind hier - oder im Buchhandel sowie bei Amazon - erhältlich:
Band 1   Band 2   Band 3

 

Voßberge

Am Voßberg 2
27367 Everinghausen

Direkt in Everinghausen Ortsmitte, an den Voßbergen, hält der Bus 859, dessen Fahrplan hier als PDF zu finden ist. Ein Parkplatz befindet sich in der Ortsmitte, an der K 237.

In der Satellitenaufnahme bei Google Maps siehst du, wo der größere und ein zweiter kleinerer Dünenbereich liegen. Auch das Waldgebiet ist gut zu erkennen.

Für Fragen steht das Amt für Naturschutz und Landschaftspflege zur Verfügung:
04261 9832802

Ausgewählte Highlights rund um die Voßberge